Goa 2020

Unser zweites Yoga-Retreat im indischen Goa ist zu Ende. Vor sechs Jahren waren wir schon einmal hier – und genau wie damals erwischt mich auch diesmal bei der Abreise diese zarte Wehmut, ein feiner Abschiedsschmerz. Der Grund sind weder die betörend schönen Sonnenuntergänge, noch die Kühe am Strand oder die oppulente Vegi-Küche, die sogar eingefleischte Steak-Fans glücklich macht. Nein, der Grund ist das, was scheinbar fehlt. Nirgendwo ist so deutlich spürbar, was es heißt, sich auf den Fluss einzulassen. Entweder Du gehst mit oder Du kommst nie wieder. In Indien ist Widerstand zwecklos.

Aus unserer Service gewöhnten deutschen Sicht gibts hier viel zu maulen: Plötzlich sollen wir in der Mitte des Aufenthalts das Zimmer wechseln, weil das Hotel überbucht ist. Die Toilette läuft über und ganz selten (offenbar zumeist in hochpreisigen Restaurants) lassen Kellner das Wechselgeld einfach in der Hosentasche verschwinden. Und dann ist da noch die Sache mit den Yoga-Decken. Mal sind die uns fest versprochenen (und für den Unterricht notwendigen Hilfsmittel) da, dann sind sie wieder wie vom Erdboden verschwunden.

Selbstverständlich kann ich meinen Unmut jederzeit kundtun. In Indien leben ca. 407 Einwohner auf einem Quadratkilometer (in Deutschland gerade mal rund 232). Es gibt hier also immer jemanden, der zuhört. Allerdings ist das, was auf die Beschwerde folgt, selten das, was ich erwarte. Der Inder drückt sein Bedauern in der Regel durch höfliches Schweigen aus. Anschließend sagt er: „I‘m so sorry!“ Und: Er wackelt mit dem Kopf. Auch auf die Frage, wie das Problem gelöst wird, bewegt sich sein Kopf von rechts nach links. Was das heißt? Keine Ahnung! Oder doch. Genau genommen kann das Kopf-Wackeln nämlich alles bedeuten: „Ja – nein – (oder auch) – vielleicht.“

Vielleicht hat er mich verstanden, vielleicht auch nicht. Möglicherweise wird das Problem heute noch gelöst, vielleicht aber auch erst nach meiner Abreise. Wo so viele Menschen auf engem Raum miteinander auskommen müssen, da wird der Konflikt wenn möglich vermieden. Das Gesicht zu wahren hat oberste Priorität. Eine Aussage wie „Das kann ich Ihnen leider nicht sagen“, ist in der indischen Gesellschaft absolut unmöglich.

Deswegen heißt es: Durchatmen und gelassen bleiben. Alles Ziehen und Drängen aufgeben. Egal, wie chaotisch die Situation erscheint. Am Ende löst sich doch alle Verwirrung immer irgendwie auf: In unserem Fall gibt der Kellner das eigenmächtige beanspruchte Wechselgeld etwas zeitverzögert und künstlich grinsend wieder heraus. Die Hotelleitung entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten bezüglich der Zimmer mit einer freien Taxifahrt. Und am letzten Retreat-Tag haben wir doch tatsächlich mehr Yoga-Decken zur Verfügung als wir eigentlich brauchen…;-)

Indien ist wie dafür gemacht, den Widerstand (gegen die Abweichung von der eigenen Norm) aufzugeben. Und ganz bezaubernd, wenn ich ohne Erwartungen mit dem fließe, was gerade ist. Es könnte also sehr gut sein, dass wir nochmal wiederkommen, um genau das zu üben.